Begriffsklärung Risiko – Risikobegriff

Jede Steuerung und Bewältigung von Risiken setzt voraus, daß Risiken identifiziert worden sind. Hierzu muß gefragt werden, was unter „Risiko“ zu verstehen ist. Es gibt mehrere Definitionen:

1. Risiko = Schaden an einem Teil. Im Versicherungswesen wird Risiko als die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretenden Möglichkeit verstanden, daß ein (klar definierbarer und isolierterer) Schaden eintritt. Der Schaden entsteht durch Bruch, Fehlverhalten, oder externe Einwirkungen. Das aktuarische Risiko ist demnach durch die Art des möglichen Schadens, finanziell bewertet durch die Höhe des Schadens, sowie die Eintrittswahrscheinlichkeit beschrieben.

2. Risiko = Unerwünschtes Gesamtergebnis. Das Lexikon definiert Risiko als die Möglichkeit eines unerwünschten oder abträglichen Ausganges wirtschaftlicher Aktivität. Mit dem „Ausgang wirtschaftlicher Aktivität“ wird eher ein Gesamtergebnis angesprochen, weniger wie das beim aktuarischen Risikobegriff der Fall ist ein isolierter Schaden an einer einzelnen Stelle. Was „unerwünscht“ ist, hängt von den Präferenzen ab. Bei einer Unternehmung drücken sich Präferenzen durch Kosten aus, die im Fall schlechter Ergebnisse zusätzlich entstehen.

Was „abträglich“ ist, hängt von der individuellen Situation der Unternehmung ab. Hier können Verpflichtungen eine Rolle spielen, genereller die Kapitalstruktur und allgemein die Fähigkeit, Risiken tragen zu können. Für eine hoch verschuldete Unternehmung sind deshalb andere Ergebnisse abträglich als bei einer Kapitalstruktur mit mehr Eigenmitteln.

Wichtig: ein „unerwünschter oder abträglicher Ausgang“ muß weder ein Desaster noch eine Existenzbedrohung sein. Abträglich sind auch Entwicklungen, die dazu zwingen, den Geschäftsplan zu ändern, aufwendige Sondermaßnahmen einzuleiten, schlechte Nachrichten zur Unzeit kommunizieren zu müssen, oder wenn interessante Opportunitäten nicht ergriffen werden können.

3. Risiko = Gefahr eines Desasters. Fast immer stellt die Existenz und Fortführung der Unternehmung einen wichtigen Wert dar beispielsweise weil immaterielle Güter, der Markenname, Mitarbeiter mit spezifischem Wissen nur wertschöpfend eingesetzt werden können, sofern die Unternehmung fortgeführt wird. So liegt die Perspektive des KonTraG nahe, sich auf die Möglichkeit „existenzgefährdende Entwicklungen“ zu konzentrieren.

4. Risiko = Streuung der Rendite. In der klassischen Portfoliotheorie, wie sie von MARKOWITZ, SHARPE, TOBIN und anderen entwickelt worden ist, wird Risiko nicht einzig als Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit für eine abträgliche Entwicklung angesehen. Der Risikobegriff der Finanztheorie ist eher mit Unsicherheit assoziiert.
Unsichere Entwicklungen können auch gut ausgehen oder besser als erwartet. Mit anderen Worten: In der Finanztheorie wie in der praktischen Welt der Finanzen umfaßt der Begriff des Risikos Gefahren und Chancen zugleich.

Anlageergebnisse, fmanzielle Resultate oder Renditen werden als unsicher modelliert, wobei aufgrund von Informationen oder historischen Vergleichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen angegeben werden können. Das Risiko ist die Streuung der Rendite. Von Volatilität wird gesprochen, wenn die Streuung der in stetiger Schreibweise notierten Rendite gemeint ist. Die Streuung oder Standardabweichung ist ein Maß dafür, wie stark die Renditen und damit die finanziellen Ergebnisse wohl von ihrem Erwartungswert abweichen werden das Quadrat der Streuung, die Varianz, ist bekanntlich die mittlere quadratische Abweichung. Risiko ist damit ein Maß für entweder den inhärenten Zufall oder für die aufgrund geringerer Informationen unpräzise Prognostizierbarkeit von Entwicklungen.

Nicht zum Ausdruck kommt bei diesem Begriff zunächst, wie abträglich ein in Relation zum Erwartungswert schlechtes fmanzielles Ergebnis (Downside-Risk) und wie vorteilhaft ein in Relation zum Erwartungswert besseres finanzielles Ergebnis (Upside-Potential) wäre. Bei der Definition von Risiko als Streuung der Rendite ist zunächst kein Hinweis gegeben, welcher Nachteil oder welche Nutzenreduktion oder welcher Wertrückgang mit einer gewissen Streuung verbunden ist.

5. Risiko = Beta. Gleiches gilt, wenn das finanzielle Risiko durch Beta gemessen wird. Beta ist ein Maß für jene Renditestreuung, die durch Diversifikation nicht weiter verringert werden könnte. Beta drückt das systematische, das nicht mehr diversifizierbare Risiko aus. Beta ist eine Größe, die ihre besondere Rolle in einem Modell spielt, dem Capital-Asset-Pricing-Modell, CAPM.

6. Risiko = Shortfall-Risiko. In der Portfoliotheorie wurde auch eine Variante des finanziellen Risikobegriffs (Streuung der Rendite, Beta) entwickelt, bei der nur das Downside-Risk betrachtet und das Upside-Potential ausgeklammert wird.

Der Investor oder finanzielle Begünstigte äußert zunächst ein finanzielles Ziel, ein Target, ein Mindestergebnis oder eine Mindestrendite. Dieses Ziel ergibt sich vielfach aus der finanziellen Situation, aus Gewinnzielen, aus der Kapitalstruktur, aus Verpflichtungen: Der Investor möchte aus dem Anlageergebnis der Assets die Liabilities bedienen können.

Das Ereignis, die Mindestrendite zu verfehlen, wird als Shortfall bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit, diese Mindestrendite zu verfehlen, heißt Shortfall-Risiko.

Ziel des Portfoliomanagers ist dann die Asset-Allokation oder die Risikopolitik so zu wählen, daß das Shortfall-Risiko nicht größer ist als eine gewisse, vorher festgesetzte, kleine Zahl wie etwa 1% oder 5%.
Der Shortfall-Ansatz wird daher als besonders relevant für Unternehmen im Finanzbereich angesehen.

7. Risiko = VaR. Diese Sicht kommt im Value-at-Risk (VaR) zum Aus-druck, einem modernen Risikomaß, das zu von Regulierungsbehörden für Finanzinstitutionen favorisiert wird.

Der VaR stellt die Frage nach dem schlechtesten Anlageergebnis oder nach dem größten Verlust. Für die Angabe des größten Verlustes wird auch eine Frist unterstellt. Oft ist das die Zeitspanne, innerhalb der Notmaßnahmen umgesetzt werden können. Bei Banken zum Beispiel ist hier 10 Tage die Norm.

Jedoch zielt der VaR nicht auf das Worst-Case-Szenario und den maximal denkbaren Verlust ab. Der Worst-Case bedeutet in vielen Fällen, alles zu verlieren. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist in praktischen Situationen oft sehr gering. Der Blick auf den Worst-Case würde nur extreme Sicherungsvorkehrungen bedeuten, die vollständige Vermeidung eines Exposures. Der Blick auf den Worst-Case verhilft nicht zu einer Politik, die zwar vorsichtig ist, dennoch nicht extrem auf absolute Sicherheit hin ausgerichtet wird.

Aus diesen Überlegungen wird beim VaR eine Wahrscheinlichkeit vorgegeben, vielfach 1 Prozent, und gefragt, welches der maximale finanzielle Verlust ist, der innerhalb der zugrunde gelegten Frist eintreten kann, wenn die 1% der schlechtesten Entwicklungen ausgeklammert bleiben


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