Grundsätzliche Charakterisierung von Beständen
Bestände sind Mengen von Gütern, die zu einem Betrachtungszeitpunkt an einer Stelle vorhanden sind. Zur Definition eines Bestandes gehören also Güterart, Termin und Stelle. Alle drei Komponenten lassen sich weit interpretieren. So kann man neben dem Bestand einer eng abgegrenzten Güterart zu einem Zeitpunkt an einem bestimmten betrieblichen Ort auch den Durchschnittsbestand einer ganzen Gütergattung über einen Zeitraum in einem Gesamtbetrieb (der sich etwa über mehrere Standorte erstreckt) ansprechen.
Bestände entstehen überall dort, wo sich ein Prozess nicht kontinuierlich vollzieht.
Der typische Fall ist das Aufeinandertreffen ungleicher Rhythmen von Zu- und Abgängen. Beispielsweise wird ein betriebliches Einsatzmaterial wöchentlich in größerer Menge angeliefert, jedoch täglich in kleineren Mengen verbraucht. Dann baut sich zwangsweise ein Bestand wechselweise auf und ab. Es gibt zahlreiche Formen der Diskontinuität von Prozessen. Neben dem angesprochenen Fall beidseitig zeitlich diskreter Bewegungen sind auch ein- oder beidseitig kontinuierliche Verläufe, ggf. mit Unterbrechungen, denkbar.
Dies trifft etwa bei einem Zwischenprodukt zu, das rund um die Uhr kontinuierlich gefertigt, jedoch nur im Acht-Stunden-Einschichtbetrieb weiterverarbeitet wird. Diese zweite Fertigungsstufe kann durchaus jeweils in einem kontinuierlichen Prozess erfolgen; er müsste allerdings eine entsprechend höhere Geschwindigkeit haben. Ein Grenzfall ist der auf Ein- und Ausgangsseite mit gleichem Tempo kontinuierlich laufende Prozess, der an der bestandsbildenden Stelle lediglich zeitlich versetzt ist. Dieses Beispiel zeigt auch, dass Bestände nur zum Teil zwangsläufig entstehen. Vielfach sind sie Ergebnis einer bewussten Prozessgestaltung.
Das geschilderte Prinzip der Bestandsbildung gilt für alle denkbaren Güterarten. In den Details unterscheiden sich freilich Motiv, Beeinflussbarkeit und Konsequenzen der Entstehung von Beständen. Entsprechend spezifisch sind Planungsansätze für Geldbestände, Nominal- und Realforderungen, nicht ausgenutzte Kreditlinien, Rücklagen, Kapital, Know-how, Nachfragepotentiale, Absatzkontingente, Energievorräte oder Materialien.
Soweit es sich um materielle Güter, insbesondere Waren handelt, erfüllen Bestände eine physische Zeitüberbrückung. Sie ist neben der physischen Raumüberbrückung und der Umgruppierung eine der drei logistischen Grundfunktionen. Damit steht sie im Zentrum logistischer Überlegungen. Physische Bestände von Gütern zeigen sich in Lägern (Lagerung, Begriff und Funktionen). Im Produktionsprozeß gibt es an verschiedenen Stellen Läger. Eingangsläger für bezogenes Material sind die erste, Ausgangsläger für absatzbestimmte Erzeugnisse die letzte innerbetriebliche Station im betrieblichen Produktionsprozeß. Daneben finden sich Kurzzeit-Zwischenläger, die in mehrerlei Hinsicht eine Pufferfunktion übernehmen.
Bestände materieller Güter als Objekt der Logistik
Warenbestände entstehen aus verschiedenen Lagerhaltungsmotiven heraus. Man unterscheidet das Ausgleichs-, das Vorrats- und das Spekulationsmotiv. Eine Ausgleichsfunktion nimmt, wie bereits aus der Definition des Bestandes folgt, jedes Lager wahr. Das Erfordernis, unterschiedliche Zu- und Abgangsprozesse zeitlich auszugleichen, ergibt sich teils aus Gegebenheiten der Marktpartner bzw. der beteiligten Produktionsstellen, teils aber auch aus Kostenüberlegungen. So kann z.B. ein seltenes Beschaffen in größeren Mengen kostengünstiger sein, wenn ständig nur kleinere Mengen gebraucht werden. Im Gegensatz dazu steht das Prinzip der Just-in-time-Logistik, bei der Bestände durch einsatzsynchrone Anlieferung möglichst völlig vermieden werden (Just-in-Time-Logistik).
Allgemein muss eine Optimierung der Beschaffungsmengen und darüber hinaus des gesamten Produktionsprogramms klären, inwieweit an den Schnittstellen von Teilprozessen eher dem Prinzip der Synchronisation oder dem Prinzip der Emanzipation der Prozesse gefolgt wird. Danach richtet sich die Höhe der Bestände, die nach dem Ausgleichsmotiv entstehen. Generelle Bereitstellungsprinzipien sind die bereits genannte einsatzsynchrone Anlieferung, die Vorratshaltung sowie die Einzelbeschaffung bei Bedarf.
Neben dem zeitlichen Ausgleich erstreckt sich das Ausgleichsmotiv auf die Qualität: Ein vorhandener Lagerbestand erlaubt es, Schlechtstücke rechtzeitig zu ersetzen. Das Vorsichtsmotiv rechtfertigt einen Teil der Lagerbestände durch das Bemühen, unvorhergesehene Materialengpässe zu kompensieren. Das Spekulationsmotiv schließlich veranlaßt Lagerbestände aufgrund vermuteter Preisschwankungen oder einer Verknappung auf dem Beschaffungsmarkt.
Lagerhaltungsmotive und Bereitstellungsprinzipien bestimmen zusammen, welche Bestände entstehen und wie groß sie sind.
Problematik der Planung von Beständen
Da Bestände immer als Ergebnis einer Abstimmung an Schnittstellen zwischen verschiedenen Teilprozessen entstehen, entziehen sie sich einer isolierten Planung. Beständeplanung bedeutet stets Planung der angrenzenden Prozesse. Insofern reiht sich die Beständeplanung als wichtiges Element in die betriebliche Ablauforganisation ein. Fragen der Ablauforganisation lassen sich generell in Reihenfolge- und Gruppierungsprobleme gliedern.
Beide Problemtypen entstehen sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Sicht für die Aufträge (Produkte, Arbeitsobjekte), Personen (Arbeitssubjekte) sowie Bearbeitungsstellen (Arbeitsmittel). Mit der Beständeplanung werden Gruppierungsprobleme gelöst. Dazu zählen beispielsweise die Bestimmung der Losgrößen (Losgrößenplanung), der Personalstärken sowie der Maschinen- und Transportmittelausstattung. Gegenüber Reihenfolgeproblemen, die äußerst komplex werden können, erscheinen sie insgesamt oft noch etwas leichter bearbeitbar.
Wegen der Möglichkeit, fast beliebige Teile auch größerer Prozessketten stückweise zu betrachten, ist die Beständeplanung leichter sukzessive aufzubauen. So lassen sich Losgrößen- und Vorratsmengenprobleme isolieren und separat lösen. In dieser Lösungsmöglichkeit liegt jedoch gleichzeitig auch die Problematik der Beständeplanung. Werden die isoliert betrachteten Teilprozesse klein, greift deren Optimierung möglicherweise empfindlich kurz. Dem versuchen verschiedene Managementprinzipien unter dem Schlagwort der Pro-zeßorientierung seit Beginn der 90er Jahre verstärkt entgegenzuwirken.
Freilich muss jede detailliertere Prozeßplanung zeitlich oder sachlich an irgendeiner Stelle halt machen. Daher ist jeder betriebliche Planungsbereich schließlich einerseits zeitlich durch Anfangs- und Endbestände, andererseits durch sachliche Schnittstellenbestände (z.B. an Zwischenprodukten) begrenzt. Einer Suboptimierung des erfassten Teilbereichs kann jedoch entgegengewirkt werden, wenn man die entsprechenden Bestände auf das übergeordnete Ziel hin bewertet. So lässt sich der Vorteil eines Zwischenlagerbestandes durch die später erst eintretenden Herstellkostenersparnisse und erzielbaren Deckungsbeiträge, sein Nachteil durch die entstehenden Lagerkosten bzw. ggf. seine Beseitigungskosten pauschal erfassen, auch wenn diese Folgeprozesse im Einzelnen gar nicht mehr im Planungskonzept detailliert abgebildet sind.
Generell kann man Teilpläne nur dann sinnvoll aufstellen, wenn die darin auftretenden Bestände koordinationsgerecht bewertet werden. Eine zielentsprechende Bestandsbewertung bildet daher ein wichtiges Element der Produktionsplanung. Jeder Bestand ist mit einer Folge teils positiver, teils negativer Wirkungen verbunden, die sich in entsprechenden Einnahmen und Ausgaben niederschlagen können. Daher ist für die Bestandsbewertung im allgemeinen der Rückgriff auf investitionsrechnerische Methoden zweckmäßig.