Gewinnverwendungspolitik ist eine wichtige Aufgabe des Finanzmanagements. Stimmen die Zielsetzungen von Gesellschaftern und Geschäftsführung überein bzw. besteht zwischen diesen Gruppen Personenidentität, wie es i.d.R. bei Einzelunternehmen, Personengesellschaften und z.T. auch bei Kapitalgesellschaften der Fall ist, so konkretisiert sich das Problem in der Frage, ob aus Sicht der Gesellschafter der Verbleib des Gewinns im Unternehmen (Selbstfinanzierung) oder dessen Ausschüttung in die Privatsphäre vorteilhaft erscheint. Wichtig für die Beantwortung ist einerseits, inwiefern es auf der Ebene des Unternehmens rentable Verwendungsmöglichkeiten, sprich Investitionen, für das thesaurierte Kapital gibt; andererseits spielt die Möglichkeit des einzelnen Gesellschafters, das
dem Unternehmen entzogene Kapital auf der Privatebene rentabel anzulegen, sprich die Anlageopportunität, eine wesentliche Rolle.
Erweitert wird das Entscheidungsfeld durch die Tatsache, dass nicht-emissionsfähige Unternehmungen zur Finanzierung ihres Wachstums u.U. auf die Gewinneinbehaltung angewiesen sind, auch weil die Fremdkapitalgeber ihre Limits und ihre Zinsforderungen von einem ausreichenden Eigenkapital abhängig machen (Finanzierungsregeln). Hier können sich dann Probleme ergeben, wenn die Gesellschafter zur Bestreitung ihres privaten Konsums auf die Gewinnentnahmen angewiesen sind.
Eine abweichende Situation ergibt sich bei Aktiengesellschaften, deren Geschäftsführung nicht durch beherrschende Aktionäre bestimmt wird. Der Vorstand, der allein mit der Unternehmensführung betraut ist, entscheidet auch im Wesentlichen über die Verwendung des erwirtschafteten Gewinns. Solange die gesetzlichen Rücklagen nicht 10% des Grundkapitals betragen, ist er zur Einstellung von 5% des Jahresüberschusses in diese Rücklage verpflichtet (§ 150 AktG). Im Normalfall ist der Vorstand gemeinsam mit dem Aufsichtsrat dazu berechtigt, bis zu 50% des Jahresüberschusses vorab den Gewinnrücklagen zuzuführen (§ 58 Abs. 2 AktG); über die Verwendung des verbleibenden Bilanzgewinns entscheidet die Hauptversammlung auf Vorschlag des Vorstandes.
Ein Hauptziel des Finanzmanagements ist die Minimierung der Kapitalkosten des Unternehmens. Im Hinblick darauf ist die Interessenlage der Aktionäre von großer Bedeutung. Ihre Vernachlässigung würde zu einem Anstieg der Kapitalkosten führen, weil die Inanspruchnahme des Kapitalmarkts, z.B. über Kapitalerhöhungen, künftig für das Unternehmen nur zu schlechteren Bedingungen möglich wäre. Es erscheint realistisch, den Kapitalgebern ein Interesse an möglichst hohen Dividendenzahlungen zu unterstellen (sog. Dividendenthese), d.h. sie werden sicheren Gewinnausschüttungen heute gegenüber unsicheren Gewinnsteigerungen morgen den Vorzug geben.
Aus Sicht der Theorie und unter Annahme bestimmter Prämissen (informationseffizienter und vollkommener Kapitalmarkt, homogene Erwartungen der Anleger hinsichtlich Rendite und Risiko von Aktien) müssten die Anleger der Gewinnverwendungsentscheidung indifferent gegenüberstehen, weil die Einbehaltung einer Dividende zu einer gleich hohen Kurssteigerung führen müsste (sog. Gewinnthese). In der Realität ist diese Kurssteigerung jedoch unsicher, da die Prämissen der Gewinnthese nicht erfüllt sind. Aus Sicht des Unternehmens und seines Vorstands ist die Selbstfinanzierung durchaus attraktiv.
In Zeiten der Inflation trägt sie die Substanzerhaltung; darüber hinausgehende Beträge dienen der im Vergleich zu anderen Finanzierungsformen relativ kostengünstigen Finanzierung des Unternehmenswachstums. Hinzu kommt die vergleichsweise hohe Sicherheit der Finanzierungsquelle „Selbstfinanzierung“ gegenüber künftigen Kapitalerhöhungen oder Fremdkapitalbeschaffungsmaßnahmen. Sie sichert dem Vorstand einen Handlungsspielraum sowohl bei Investitionsentscheidungen als auch für Dividendenzahlungen in ertragsschwachen Jahren.
Eine aus steuerlichen Gründen unter Umständen interessante Vorgehensweise ist nach derzeit noch gültigem Steuerrecht das Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren. Hierbei werden die Gewinne zuerst ausgeschüttet und der individuellen Steuerbelastung der Anteilseigner unterworfen, anschließend über eine ordentliche Kapitalerhöhung wieder in das Unternehmen eingebracht. Auf diese Weise wird die steuerliche Belastung der Selbstfinanzierung mit 40% Körperschaftsteuer umgangen; das Verfahren ist immer dann vorteilhaft, wenn die Summe der Belastungen des Schütt-aus-hol-zurück-Verfahrens diesen Satz unterschreitet. Die Unsicherheit über die Bereitschaft der Aktionäre, die erhaltenen Mittel wieder dem Unternehmen zuzuführen, beschränkt allerdings die Vorteilhaftigkeit und Anwendbarkeit des Verfahrens.
Im Zuge der Steuerreform 2000 wird für die Körperschaftsteuer eine Definitivbelastung von 25% eingeführt, unabhängig davon, ob die Gewinne ausgeschüttet oder thesauriert werden. Die Anrechnung der Körperschaftsteuer wird mit Einführung des Halbeinkünfteverfahrens aufgehoben. Damit besitzt das Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren gegenüber der Selbstfinanzierung keinen Vorteil mehr. Nach neuem Steuerrecht wird die Einbehaltung gegenüber der Ausschüttung eindeutig bevorzugt. Dies hat den Nachteil, dass die Kontroll- und Allokationsfunktion des Kapitalmarkts geschwächt wird, weil nicht unbedingt nur jene Unternehmen Mittel einbehalten, die in entsprechendem Umfang über rentable Investitionsmöglichkeiten verfügen.
In Deutschland überwiegt bisher die Zahlung eines relativ stabilen Dividendensatzes, wodurch es, längerfristig betrachtet, auch zu einer prozentual konstanten Aufteilung des Gewinns in Thesaurierung und Ausschüttung kommt. Bei nur als vorübergehend eingestuften oder außergewöhnlichen Ergebnisverbesserungen ist es üblich, einen einmaligen Bonus zu leisten oder die Dividende konstant zu halten. Lediglich im Falle einer dauerhaften Steigerung des Unternehmensergebnisses werden die Dividenden erhöht. Diese Dividendenpolitik hat zur Folge, dass den Dividendenzahlungen eine gewisse Informationsfunktion zugesprochen werden kann: Aus einer Dividendenerhöhung können Anleger tendenziell auf eine dauerhafte Steigerung des Unternehmenserfolgs schließen.