Definition und Zielsetzung des Logistikaudits
Die Begriffe Audit bzw. Auditierung waren bisher vor allem im Zusammenhang mit dem Qualitätsmanagement (Qualitätsaudit) und der Überprüfung von Prozessen nach Umweltgesichtspunkten (Ökoaudit) im Gebrauch. Die prozeßorientierte Auditierung der Logistik hat das Ziel, eine meist fehlende gesamthafte Betrachtung aller Logistikprozesse durchzuführen.
Die durch steigende Kunden- und Marktanforderungen getriebene Ausweitung der Produkt- und Variantenvielfalt bei kürzeren Auftragsdurchlaufzeiten und einer hohen Prognoseunsicherheit bezüglich des zu fertigenden Produktionsprogrammes ergibt einen starken Anstieg der Prozeßkomplexität. Dabei erfahren die Außenbeziehungen zu Lieferanten und Vertriebspartnern eine immer wichtigere Rolle für die Unternehmen. Eine durchgängige Abstimmung aller Prozesse entlang der Wertschöpfungskette bietet daher ein großes Optimierungspotential.
Basis für den Erfolg aller Bemühungen, Logistikprozesse effizienter zu gestalten, muß eine umfassende Überprüfung und Analyse sein. Die Logistikauditierung versteht sich als Grundlage für eine schnelle Anpassung der logistischen Prozeßstrukturen an neue Kundenanforderungen und beinhaltet die maßnahmenorientierte Bewertung der bestehenden Logistik und ihrer Planungsaktivitäten.
Hauptfragestellungen sind dabei: Kann die Logistik die zukünftigen Anforderungen erfüllen und welches zusätzliche Optimierungspotential bietet sie?
Vorgehen in der Auditierung
Eine Aufnahme der Strukturen, Prozesse und Planungsstände verschafft einen Überblick über die Rahmenbedingungen und die bereits erarbeiteten Logistikstrategien, Lösungsansätze und Umsetzungsmaßnahmen. Wichtigste Rahmenbedingungen sind dabei die Produktstruktur (Baureihen, Typen, Varianten), die Produktionsstruktur (Produktionsprogramm, Flächennutzung, Werkstrukturen, Lieferarten), die Lieferantenstruktur (Anzahl Lieferanten, Lieferumfänge), die Organisationsstruktur sowie die Umweltparameter (Verkehrskonzeptionen, rechtliche Auflagen etc.).
Mit rechnergestützten Prozeßmodellierungs-Tools können die logistischen Prozeßketten systematisch abgebildet und nach organisatorischen, technologischen und strategischen Kriterien optimiert werden. Hierbei sind verschiedene Arbeitsschritte notwendig, die je nach Aufgabenstellung und Prozeßkomplexität unterschiedliche Bedeutung haben:
- Aufnahme und Analyse der logistischen Gesamtstruktur
- Systematisierung und Abbildung der relevanten Ist-Prozesse, insbesondere des Material- und Informationsflusses
- Ermittlung der beteiligten Stellen und ihrer Teilaktivitäten im Prozess
- Input-Outputanalyse je Teilprozeß
- Analyse der Systemunterstützung
- Herausarbeitung der Schwachstellen, Ursachen und Abhängigkeiten
- Quantifizierung von Zeit-, Kosten-und Qualitätsparametern, jeweils bezogen auf die Teilaktivitäten und den Gesamtprozess
Die Ergebnisse der Analyse münden in einen Audit-Bericht, der sowohl eine Bewertung der Schwachstellen und Potentiale als auch Ansätze für ein optimiertes Soll-Konzept mit entsprechender Maßnahmendefinition beinhaltet. Benchmarks aus vergleichbaren Auditierungen bieten wichtige Zielgrößen (>Benchmarking).
Auditierungsbereiche
Im Folgenden werden die wichtigsten Untersuchungsbereiche im Rahmen eines Logistikaudits aufgeführt.
Programmplanung
Planungslücken durch zu geringe Planungsfrequenzen oder unregelmäßiges Aufsetzen der Planung sind oft die Ursache für spätere Engpaßsituationen. Die Programmplanung hat den Zielkonflikt zwischen vertriebsseitig geforderter Flexibilität und produktions- und lieferantenseitig präferierter Stabilität zu lösen.
Bestehende Planungsverfahren finden häufig in isolierten Systemen in Vertrieb und Produktion ohne einen Plan-Ist-Abgleich oder Verfahren zur Trenderkennung statt. Ohne Transparenz über Restriktionen, Vereinbarungen über zulässige Schwankungsbreiten und die vollständige Planung kritischer Zusatzausstattungen läßt sich keine optimale Programmplanung durchführen (Produktionsprogrammplanung; Logistikplanung).
Auftragssteuerung
Die Auftragssteuerung ist die Hauptdeterminante für die Termintreue und die optimale Kapazitätsauslastung. Die frühzeitige Nutzung der vertriebsseitig vorliegenden Auftragsdaten und eine eindeutige Terminierung mit verbindlichen Ableitungen für alle Teilprozesse bilden die Grundlage für eine unternehmensweite Steuerung der Prozeßketten.
Die Definition von kapazitätsrelevanten Restriktionen im Einsteuerprogramm und die Bildung einer optimalen Reihenfolge (Reihenfolgeplanung) stellen die wesentlichen Kriterien für eine optimale Steuerung und die zuverlässige Einhaltung von Lieferterminen dar. Die Prozeßkette von der Bestellung des Kunden bis zur Auslieferung des Produkts ist durch eine Vielzahl von Schnittstellen zwischen Händlerorganisationen, Vertrieb, Logistik und Transportwesen gekennzeichnet.
Um eine Erhöhung des Lieferservices und eine kostenoptimale Durchführung der Prozesskette zu ermöglichen, ist es erforderlich, den Gesamtablauf in eine organisatorische Gesamtverantwortung zu legen. Hierbei ist die in einem integrierten DV-System abgebildete, für alle beteiligten Stellen einheitliche Planungs- und Auftragsbasis eine Grundvoraussetzung für eine durchgängige Auftragseinplanung und Auftragssteuerung.
Teiledisposition
Bei der Teiledisposition ergeben sich häufig Diskrepanzen zwischen den Verfahren, Methoden und Systemen und den gestiegenen Anforderungen aus den veränderten Beschaffungsstrategien. Einerseits ist ein effektives Engpassmanagement gefragt, andererseits muß eine permanente Prozeßoptimierung gewährleisten, daß nicht mit hohem Aufwand Engpässe verwaltet werden, anstatt die Ursachen systematisch zu beheben. Wichtig ist die Risikooptimierung bei der Festlegung der Dispositionsparameter.
Dazu ist ein Frühwarnsystem notwendig, das auf Basis echter Bedarfszahlen und zeitaktueller Informationen über Warenbewegungen und Bestände systemgestützt das tatsächliche Fehlteilrisiko ermittelt. Bestehende Frühwarnsysteme greifen häufig nicht auf aktuelle Informationen innerhalb der Prozeßkette (Puffer beim Lieferanten, Warenausgangstermin beim Lieferanten, Verzögerung beim Spediteur etc.) zurück und lassen daher keine rechtzeitige Erkennung potentieller Engpässe zu.
Zur systematischen und präventiven Schwachstellenbeseitigung ist die Bewertung des Risikopotentials von Teilen und Lieferanten (Lieferantenbewertung) durch ein nachgeschaltetes Analysetool erforderlich. Unter dem Stichwort selektive Bestandsführung versteht man die Erhöhung der Bestände bei risikobehafteten Teilen und, wenn eine kurzfristige Prozeßstabilisierung nicht möglich ist, die Festlegung von Mindestbeständen an Zwischenerzeugnissen beim Lieferanten für kritische Umfänge und die gleichzeitige Reduzierung von Beständen bei unkritischen Teilen.
Lieferantenmanagement
Während in der Produktentwicklung zum Teil die Integration von Lieferantenaktivitäten im Zuge des Simultaneous Engineering weit fortgeschritten ist, werden im Zusammenhang mit der Versorgung der Produktion mit Kaufteilen von Lieferanten noch immer vielfältige Aufgaben, wie Vertragsgestaltung, Anlaufsteuerung, Neuteil- bzw. Änderungsbearbeitung, Bedarfsübermittlung, Qualitätskontrolle etc. häufig in verschiedenen organisatorischen Einheiten wahrgenommen.
Die fehlende abteilungsübergreifende Kommunikation zwischen Einkauf, Qualitätswesen und Disposition verhindert dabei eine schnelle, zielgerichtete Schwachstellenbeseitigung und ein einheitliches Vorgehen gegenüber den Lieferanten. Eine Integration sämtlicher Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben in einer organisatorischen Einheit verspricht ein deutlich schnelleres und effizienteres Teile- und Qualitätsmanagement. Ziel ist dabei der Übergang von der sequentiellen Abarbeitung der Qualitäts- und Logistikthemen zu einer integrierten Betrachtung der Gesamtprozeßkette.
Externer Materialflug
Die prozeßgemäße Gestaltung der einzelnen Transportkettenelemente wie Transportmittel und Umschlagspunkte sowie die Planung und Steuerung der Transportabwicklung sorgen für eine durchgängige und transparente Transportorganisation (Transportplanung). Beurteilt wird der externe Materialfluß nach Kriterien wie Transportkosten, Frachtraumnutzung, Termintreue, Anzahl beschädigter Teile, Zahl und Durchführung von Sonderfahrten, Standzeiten, Versorgungssicherheit etc.
Wesentliche Optimierungsparameter sind Art und Steuerung des Dienstleistereinsatzes, Anlieferzyklen und -steuerung, die LKW-Erfassung, Einsatz von Systemen zur Sendungsverfolgung bzw. Frühwarnung, die Entwicklung von gestuften Notstrategien und der Aufbau von effektiven Controllinginstrumenten.
Interner Materialfluß
Die materialflußgerechte Gestaltung der internen Strukturen von der Warenvereinnahmung im Wareneingang über die Lagerabwicklung, die Fördertechnik, die Kommissionierung und Bereitstellung in der Produktion bis zur Leergutabwicklung wird nach Aufwands-, Kosten- und Leistungsgesichtspunkten betrachtet. Wesentlich ist die Vermeidung von Mehrfachhandling, die Einrichtung von Logistikflächen in produk-tionsnahen Bereichen und die anforderungsgerechte Auslegung bzw. Erweiterung kritischer Bereiche wie FTS-Fahr-zeuge, Aufzüge etc.
Logistikplanung
Die ganzheitliche Optimierung unterschiedlicher logistischer Teilprozesse über verschiedene Organisationseinheiten hinweg, die Vermeidung von informatorischen Brüchen und der Abbau von Redundanzen beginnt bei einer übergreifenden Planung. Vor allem durch die frühzeitige Einbindung der Logistik in der Produkt- und Prozeßpla-nungsphase sowie die Berücksichtigung logistischer Belange bei der Werkstruktur- und Montageplanung besteht ein erhebliches Potential, die Qualität und Effektivität von Prozessen zu verbessern sowie das Mitarbeiterpotential besser zu nutzen.
Der Einsatz leistungsstarker DV-gestützter Planungstools muß schnell und einfach eine kosten- und leistungsbezogene Bewertung von Alternativplanungen ermöglichen und die Planer in die Lage versetzen, kostenoptimale und anforderungsgerechte Lösungen zu finden (Logistikplanung).
Logistikcontrolling
Vereinbarungen über Ziele zwischen der Unternehmensführung und der Logistik und ein permanenter Soll-Ist-Vergleich sind die Voraussetzungen zur erfolgreichen Umsetzung der Planungen und optimalen Steuerung der operativen Logistikabwicklung. Entscheidend für eine effiziente und wirkungsvolle Prozeßbeurteilung und -steuerung ist die Bildung von aussagekräftigen Kenngrößen und die Zusammenfassung in einem einheitlichen Steuerungsinstrumentarium.
Dabei muß erstens beachtet werden, daß die gewählten Indikatoren die tatsächliche Prozeßleistung erfassen können und zweitens, daß das Prozeßkettencontrolling seine Transparenz durch zu viele Kennzahlen nicht wieder verliert. Wichtig ist ein Monitoring vor allem an den Schnittstellen der Prozeßketten mit Fokus auf die potentiellen Störgrößen und Unruheherde (Logistikkennzahlen; Logistikcontrolling).
Fazit
Wesentliche Erfolgsdeterminante bei der Entwicklung von Strategien zum langfristigen und wirtschaftlichen Einsatz von neuen Logistiksystemen ist ein ganzheitliches, prozeßorientiertes Verständnis der Wertschöpfungskette und die Ausrichtung an kundenorientierten Leistungsprozessen.
Die Logistikauditierung versteht sich als Methodik und Instrument, durch eine umfassende Überprüfung und Analyse der gesamten Unternehmenslogistik die Basis für die Implementierung zukunftsorientierter Logistikstrategien zu bilden (Einführung von Logistik).