Open System Simulation (OSS) ist ein Instrument zur flexiblen Planung und Kontrolle von Geschäftsfeldstrategien mit dem Ziel, die Gefahr strategischer Fehlentscheidungen zu reduzieren. Simplifizierende Trendextrapolationen von Vergangenheitsdaten über Zeiträume von bis zu zehn Jahren suggerieren den Entscheidungsträgern oftmals, es mit einer völlig eindeutigen und sicheren Entwicklungslinie zu tun zu haben, auf der sich komplexe Unternehmensstrategien aufbauen lassen.
Sind derartige Strategien mit ihren vielfältigen Konsequenzen einmal initiiert, wird im Falle gravierender Fehlprognosen ein strategischer „turnaround“ nahezu unmöglich. So sind z.B. existenzbedrohende Unternehmenskrisen zu erwarten, wenn für die Bearbeitung eines bestimmten Marktsegments bereits langfristige Lieferverträge abgeschlossen, fixkostenintensive Spezialmaschinen angeschafft und die erforderlichen Vertriebsstrukturen aufgebaut worden sind und sich erst dann herausstellt, dass die prognostizierten Nachfragemengen bei weitem nicht realisiert werden können. Der gravierende Fehler dieser auf traditionellen Prognosetechniken basierenden Langfristentscheidungen ist die Annahme, die prognostizierte Entwicklung werde mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% eintreten.
Die OSS vermeidet diesen Fehler, indem sie im ersten Schritt lediglich differenzierende Szenarien der zukünftigen Entwicklung generiert und damit bewusst den Hang zur „Vereinwertigung“ aufgibt, der den meisten anderen Forecast-Instrumenten immanent ist. Generell zielt die Szenariotechnik darauf ab, die künftige Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes unter Zugrundelegung alternativer Umfeldbedingungen transparent zu machen. Sie akzeptiert dabei bewusst die Ungewissheit über die Richtigkeit zukunftsgerichteter unternehmerischer Entscheidungen und versucht nicht, unsichere Daten „sicher zu rechnen“, sondern nimmt die Ungewissheit zunächst hin, um in der Folge ihre Struktur verstehen zu lernen. Die OSS-Analyse versucht dann in einem weiteren Schritt, die Ungewissheit in die Strategieüberlegungen zu integrieren. Die OSS sollte jeweils gemäß dem folgenden Phasenschema ablaufen:
• Definition des Untersuchungsfeldes,
• Identifikation der kritischen Einflussgrößen des Untersuchungsgegenstandes (z.B. Nachfragevolumina),
• Entwurf alternativer Szenarien in Abhängigkeit von Unterschiedlichen Entwicklungen der Einflussgrößen,
• Einführung und Impact-Analyse signifikanter Störereignisse,
• Ableitung adäquater, szenariogestützter Geschäftsfeldstrategien (Entscheidungsbaumanalyse, Entscheidungsbäume),
• Auswahl einer Geschäftsfeldstrategie anhand quantitativer Kriterien (z.B. strategische Kapitalwerte),
• Generierung flexibler Back-Stop-Strategien als Sicherheitsäquivalent.
Das Ziel der OSS-Analyse ist es also, mit Unterstützung der Szenariotechnik eine Basisstrategie aufzudecken, die im Bedarfsfalle einen Umstieg auf eine Derivativstrategie oder einen ökonomisch begründeten Ausstieg aus der gewählten Strategie ermöglicht (Back-Stop-Strategien). Ein Beispiel wäre der Bau eines Hotels. Die Basisstrategie ist dabei das Angebot einer bestimmten Menge von Hotelzimmern. Als Sicherheitsäquivalent gegen evtl. Überkapazitäten werden die Hotelzimmer von vornherein mit Anschlüssen für eine Küchenzeile versehen, so dass die Hotelzimmer bei Nachfrageverschiebungen problemlos in vermietbare Appartements transformiert werden können (Derivativstrategie).
Bei weiteren Nachfragestrukturverschiebungen besteht die Möglichkeit, die Appartements als Eigentumswohnungen zu verkaufen (Aussteigerstrategie). Auf diese Weise lassen sich Leerkosten, die aufgrund mangelnder Kapazitätsauslastung entstehen, in Nutzkosten verwandeln. Die Mehrkosten für die Küchenanschlüsse stellen Flexibilitätskosten dar und sind bei Vorteilhaftigkeitsberechnungen den Erlössteigerungen aufgrund einer besseren Kapazitätsauslastung gegenüberzustellen. Ahnliche Möglichkeiten für „built-in-flexibility-Strategien“ ergeben sich z.B. für die technische Auslegung von Fertigungsaggregaten, Nutzfahrzeugen oder von Luftfahrzeugen (z.B. als Passagier- oder Transportmaschinen). Besonders geeignet ist die OSS für die Planung und Realisierung risikobehafteter Investitionen mit hoher und langfristiger Kapitalbindung, wie sie insb. für den Großanlagenbau oder die Immobilienwirtschaft typisch sind.
Vielfach besteht bei diesbezüglich Projekten zwar keine stetige, aber doch eine diskretionäre Skalierbarkeit der Investments. Durch ein modulares Realisierungs-Timing unter frühzeitiger Berücksichtigung von Derivativstrategien lassen sich hier oftmals Risiken reduzieren. Dabei ist es durchaus sinnvoll, erforderliche Rahmenplanungen und ggf. Genehmigungsverfahren von vornherein auf die Endausbaustufe auszurichten.
Eine Strategienplanung auf Basis der OSS stellt somit eine mehrdimensionale Alternativplanung dar, die die Ungewissheit nicht durch eine undifferenzierte Korrelation einer nicht zu überschauenden Zahl von Einflussgrößen zu eliminieren versucht, sondern anhand einiger signifikanter Variablen flexible und in sich schlüssige Entscheidungsalternativen entwickelt.